„Ergotherapie im Klassenzimmer

Ruhig auf dem Boden liegen und sich auf eine Fantasiereise begeben – für die vier Schüler der Gutenbergschule in Reutlingen war das vor einigen Monaten undenkbar. Doch nach dem Konzentrationstraining bei der Ergotherapeutin Stefanie Feimer im letzten Schuljahr haben die Viertklässler der Förderschule große Fortschritte gemacht – sowohl im Umgang miteinander als auch in ihrem Arbeitsstil.

Einmal in der Woche trafen sich die vier Jungen, bei denen der Verdacht auf ADHS besteht oder ADHS bereits diagnostiziert wurde, für anderthalb Stunden nachmittags in ihrem Klassenzimmer, um ihre Konzentrationsfähigkeit zu steigern. Die Übungen sind Bestandteil des „Marburger Konzentrationstrainings nach Krowatschek“, in dem die 47-jährige Ergotherapeutin 2006 ihren Abschluss als zertifizierte Trainerin machte – mit dem Ziel, „solche Kurse als zweites Standbein in meiner Praxis zu etablieren“. Vier Jahre später absolvierte sie einen zweiten Kurs, das „Marburger Verhaltenstrainingg“ (MVT).

Entspannung und Arbeitsphasen im Wechsel

Der Ablauf des „Marburger Konzentrationstrainings“, das in der Regel sechs bis acht Stunden umfasst und je nach Anzahl der Jugendlichen (maximal fünf) zwischen 60 und 75 Minuten dauert, erfolgt stets nach dem gleichen Schema: Zu Beginn einer jeden Trainingsstunde steht ein dynamisches Spiel, in dem sich die Teilnehmer austoben können. Es folgt eine Entspannungsübung nach den Regeln des autogenen Trainings – mit speziellen Geschichten werden die Jugendlichen auf eine Fantasiereise geschickt. Anschließend gibt es verschiedene Arbeitsphasen, in denen sich die Kinder auf bestimmte Aufgaben konzentrieren müssen.

Nach dem erfolgreichen Abschluss des „Marbruger Konzentrationstrainings“ bot Stefanie Feimer solche Kurse im Haus der Familie in Reutlingen an. Das „Training wendet sich an SchülerInnen, die eher unaufmerksam, leicht ablenkbar und wenig ausdauern sind, motorisch unruhig und überaktiv, impulsiv und schwer steuerbar sind. Aber auch diejenigen SchülerInnen, die träumen und nicht bei der Sache sind, sehr lange brauchen, bis sie eine Aufgabe anfangen, häufig Flüchtigkeitsfehler machen, Gelerntes schon nach kurzer Zeit vergessen haben“, heißt es dort in der Kurzbeschreibung. „Am Anfang lief es etwas zäh“, erinnert sich die Ergotherapeutin, die im Mai 2003 ihre Praxis in Bad Urach eröffnete. „Im ersten Jahr hatten wir nur drei Teilnehmer – das ist die Schmerzgrenze für Familienbildungsstätten.“ Der Kurs kostete 80 Euro und umfasste sechs Trainigsstunden und zwei Elternabende. Inzwischen hat sich die Idee etbaliert und die Kurse werden durchschnittlich von sechs bis zehn Jugendlichen zwischen sieben und zehn Jahren besucht.

Parallel zu ihrem Engagement in der Familienbildungsstätte bot sie solche Kurse auch in ihrer Praxis an (Kosten: 100 Euro). „Anfangs musste ich viel Werbung betreiben“, so die Praxischeffin, „neben dem Flyer schaltete ich in den ersten zwei Jahren immer mal wieder ein paar kleine Anzeigen in unserem Lokalblatt.“ Das gehört inzwischen aber der Vergangenheit an, „die Kurse haben sich zu einem Selbstläufer gemausert“, freut sie sich, „und werden im Schnitt von fünf Kindern wahrgenommen“.

Finanzmodell Spenden

Für ihr Konzentrationstraining in der Gutenbergschule musse sie keine Werbung machen. Die Sozialpädagogin der Förderschule kam auf die Ergotherapeutin zu. Finanziert wurde das erste Jahr durch das Reutlinger „Spendenparlament“, in denen Vertreter von Kirche und Stadt sitzen. „Allerdings fördert das Spendenparlament jedes Projekt nur einmal“, so Stefanie Feimer. Doch die Schule bemüht sich um weitere Sponsoren, sodass „berechtigte Hoffnungen bestehen, dass die Ergotherapie im Klassenzimmer auch im neuen Schuljahr fortgesetzt werden kann“.

Die Praxisinhaberin hat insgesamt gute Erfahrungen mit ihrem Schulprojekt machen können, auch wenn sie feststellte, dass die Kinder in der Förderschule größere Probleme haben als die Kinder in ihrer Praxis, „die nur in die Spur gebracht werden müssen“. Belegt wurde das positive Feedback von einer Studentin der Fakultät Sonderpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg, die den Kurs seit Oktober begleitete und eine wissenschaftliche Hausarbeit über Therapie und Praxis der Ergotherapie in einer Gruppe schreiben wird. Bei einem der vier Schüler waren nach deren Ergebnissen sehr große Veränderungen sichtbar geworden.

Stefanie Feimer wird ihren Weg mit dem „Marburger Konzentrationsweg“ weitergehen und kann es ihren Kollegen nur empfehlen. „Allerfings“, so die Ergotherapeutin, „dürfte man nicht die Erwartung haben, dass man damit gleich viel Geld verdienen kann.“ Man brauche schon einen längeren Atem, um die anfängliche Durststrecke zu überstehen. „Aber den Bekanntheitsgrad der eigenen Praxis steigert ein solches Projekt auf jeden Fall!“
Schwabe-Fleitmann, Katrin. In „unternehmen praxis“, Ausgabe 9.2013, S. 19

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